Stoffpolitik: Zentraler Rahmen für die industrielle Rohstoffbasis
Chemikalien sind essenziell für zahlreiche Alltagsprodukte und Industriezweige. Sie sind die Basis für ganze Wertschöpfungsketten (z.B. für Automobil, Elektronik, Maschinenbau, Textil) – oder ermöglichen Schlüsselfunktionalitäten in späteren Verarbeitungsstufen (z.B. Beschichtungen). Die sichere Herstellung und Verwendung wird durch strenge europäische Regelungen gewährleistet, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Diese Regulierung dient aber nicht nur dem Schutz von Umwelt und Gesundheit, sondern bestimmt auch maßgeblich über die verfügbare industrielle, stoffliche Rohstoffbasis in der EU. Chemikalienregulierung beeinflusst daher Innovationsprozesse und ist enorm wettbewerbsrelevant.
Der Regulierungsrahmen: Sicherheit und Fortschritt im Fokus
Die europäische Chemikaliengesetzgebung basiert hauptsächlich auf der REACH-Verordnung (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) und der CLP-Verordnung (Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen). Sie wird ergänzt durch weitere spezifische Vorschriften.
- Agenzienrichtlinie (98/24/EG) – regelt Arbeitsschutzmaßnahmen für toxikologische und physikalisch-chemische Eigenschaften von Stoffen
- Krebsrichtlinie (2004/37/EG) – regelt zusätzliche Maßnahmen für krebserzeugende, mitagene oder reproduktionstoxische Stoffe
- Export/Import-Verordnung („PIC (= Prior Informed Consent) Verordnung“) (649/2012/EG) – regelt Ein- und Ausfuhr bestimmter gefährlicher Chemikalien sowie Verpflichtungen für Unternehmen, die diese Chemikalien in Länder außerhalb der EU ausführen möchten
- POP-Verordnung (850/2004/EG) – regelt u.a. das Herstellungsverbot von bestimmten „Persistent Organic Pollutants“ (POPs)
- weitere produktspezifische Regelungen, z.B. für Biozide, Pflanzenschutzmittel, Kosmetika, Arzneimittel, Detergenzien
- weitere stoffbezogene Regelungen im EU-Umweltrecht (z.B. fluorierte Treibhausgase, Explosivstoffe)
Die Europäische Kommission bestätigt in ihrer Chemikalienstrategie von 2020, dass der Regulierungsrahmen der EU für chemische Stoffe und Produkte heute anerkanntermaßen zu den umfassendsten und sichersten Schutzstandards zählt und sich auf die weltweit fortschrittlichste Wissensbasis stützt.
REACH: Von Informationspflichten bis zur Verwendungsbeschränkung
Die REACH-Verordnung schafft einen Rahmen, um die Risiken im Umgang mit Chemikalien für Mensch und Umwelt zu minimieren. Dafür gelten Daten- und Informationsanforderungen (Registrierung) – auch entlang der Lieferkette (Sicherheitsdatenblatt). Stoffbewertungen und Verfahren zur Verwendungsbeschränkung bis hin zum Totalverbot sind ebenfalls unter REACH geregelt (Bewertung, Zulassung, Beschränkung). REACH hat ohne Zweifel zu einer umfassenden Datenbasis, hohen Sicherheitsstandards und Fortschritten im Risikomanagement geführt. Die Umsetzung von REACH war und ist gleichwohl ein gewaltiger Kraftakt für Unternehmen. Der Erfüllungsaufwand, die hohe Komplexität und Dynamik stellen gerade KMU aber auch große Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. Auch stellen sich manche Prozesse (wie das REACH-Zulassungsverfahren) als wenig planbar und extrem aufwendig dar.
CLP: Einheitliche Kennzeichnung für die Gefahrenkommunikation
Die CLP-Verordnung hat Gefahrenkommunikation im Fokus und sorgt für eine einheitliche Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen und Gemischen in der EU – auf Basis eines globalen Systems der UN (UN GHS). Stoffeigenschaften werden dabei in Gefahrenklassen und -kategorien eingeordnet. Erst in Kombination mit Expositionswahrscheinlichkeiten können auf dieser Basis Risiken bewertet und adäquates Risikomanagement abgeleitet werden (-> REACH, Arbeitsschutz). Gefahrenkommunikation schützt daher Arbeitnehmer und Endverbraucher – und schafft einheitliche Kennzeichnungsanforderungen für den Handel. Durch die Bezugnahme vieler anderer Regelwerke auf CLP können Einstufungsänderungen sehr weitreichende Auswirkungen in anderen Rechtsbereichen haben. Dies kann zu ungewollten und überzogenen Verschärfungen führen – ein Beispiel ist die geplante Einstufung von Ethanol.
Herausforderungen durch die EU-Chemikalienstrategie
Trotz des bereits sehr hohen Sicherheitsstandards, strebt die 2020 vorgestellte EU-Chemikalienstrategie weitreichende Verschärfungen an – darunter auch ein Paradigmenwechsel: Von einer risikobasierten hin zu einer gefahrenbasierten Regulierung unter REACH. Im Kern bedeutet dies, dass im Schnellverfahren Verwendungsverbote für ganze Stoffgruppen erlassen werden könnten – egal ob eine tatsächliche Exposition erfolgt oder nicht (Regulierung auch ohne Risiko). Zudem wurden bereits neue Gefahrenklassen unter CLP eingeführt – ohne Harmonisierung mit dem globalen GHS-System. Aus Industriesicht steht zu befürchten, dass sich dadurch die verfügbare Stoffbasis für die gesamte EU-Industrie erheblich verringern könnte – und damit die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen leidet. Der Lösungsraum für Innovationen aus der Chemie würde für die nachhaltige Transformation eingeschränkt werden. Aber Innovationen brauchen gute Rahmenbedingungen, die sowohl Nachhaltigkeitsziele als auch wirtschaftlichen Erfolg sicherstellen.
Nachhaltigkeit durch Zusammenarbeit
Die Umsetzung der Chemikalienstrategie erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Industrie. Bevor weitreichende Veränderungen in REACH umgesetzt werden, braucht es zunächst eine Inventur bereits bestehender Chemikalienregulierung. Überzogene Verschärfungen – insbesondere generische und pauschale Regulierungsansätze – sind zu vermeiden. Auch zusätzliche Berichts- und Datenanforderungen sind zu hinterfragen – Bürokratielasten und Doppelregulierung müssen abgebaut werden. Es gilt, dass System im bestehenden Rechtsrahmen wie auch dessen Umsetzbarkeit für Unternehmen zu verbessern.
Nur ein klarer und verlässlicher Rechtsrahmen, der Unternehmen nicht überfordert, kann sicherstellen, dass europäische Unternehmen weiterhin weltweit führend in der Entwicklung nachhaltiger Chemikalien bleiben.
Weitere Positionen zur Stoffpolitik:
VCI-Themenseite zur EU-Chemikalienstrategie
VCI-Position zur “New Chemicals Industry Package” der EU-Kommission
EU-Chemikalienstrategie – VCI-Position kompakt
Chemie legt ökonomische Folgenanalyse vor
Standpunkt zur EU-Chemikalienstrategie – Es geht um die Zukunft von Chemie und Pharma
Rechtsfolgen einer harmonisierten Einstufung: VCI Positionspapier
Daneben erarbeitet der VCI in den zuständigen Fachgremien auf Landes- und Bundesebene laufend eine Vielzahl an detaillierten Fachstellungnahmen, die sich situativ und dynamisch auf aktuelle Regelungsvorhaben innerhalb der unterschiedlichen Teilgebiete des Chemikalienrechtes beziehen. Sprechen Sie uns hierzu gerne jederzeit an.