VCI-Halbjahresbilanz: Starkes Comeback für die Chemie
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27. August 2021Chemie – Lösungsindustrie mit Zukunft
Klare Worte in der Jahresbilanz der Bayerischen Chemieverbände
Erstellt von „Artikel 26. August 2021 – Seite 7, Burghauser Anzeiger“
München/Region.
Die chemische Industrie ist nicht nur eine der Leit-Branchen in Deutschland, sondern „die“ Leit-Industrie im südöstlichen Oberbayern schlechthin – mit den meisten Arbeitsplätzen, der höchsten Lohnsumme und dem höchsten Anteil an der Exportbilanz, auch über die engeren Grenzen des Chemiedreiecks hinaus. Deutschland ist die größte Chemie-Nation Europas und die Nummer 4 in der Welt. „Die Chemie ist einer der wichtigsten Eckpfeiler unseres Wohlstands. Es darf nicht sein, dass der Verlust an Wertschöpfungstiefe, das Verschwinden von Unternehmen, mit einem Schulterzucken quittiert wird“, betont Dr. Christian Hartel, Vorsitzender des Vorstandes der Bayerischen Chemieverbände und zugleich Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie AG.
In der jüngsten Jahresversammlung zogen die Unternehmensvertreter in den Bayerischen Chemieverbänden nicht nur Bilanz zu den zurückliegenden Monaten, geprägt von Corona, der sich wieder zuspitzenden Klima-Diskussion und zur Entwicklung der wirtschaftlichen Lage. Deutschlands Industrie war schon vor der Corona-Krise in einer Rezession. 2020 gab es einen schweren Konjunktureinbruch, ausgelöst durch die Effekte der Covid-19-Pandemie (Corona), „vor allem aber durch die Maßnahmen, die zur Pandemieeindämmung getroffen wurden“, bilanzieren die Verbände.
Aktuell sei das Infektionsgeschehen weltweit weitgehend unter Kontrolle. Die globale Industrie- und auch Chemieproduktion seien wieder auf Erholungskurs und liegen im ersten Quartal 2021 bereits „über dem Wert von 2019″, so der Jahresbericht. Das globale Bruttoinlandsprodukt habe wieder annähernd das Niveau von 2019 erreicht. Aber Europa falle im Vergleich zurück. Während die Wirtschaftsleistung (BIP) Chinas im ersten Quartal bereits sehr deutlich über dem Niveau von 2019 rangiere, liege Europa noch etwas und Deutschland sogar mehr als fünf Prozent unter dem Niveau von 2019.
Nachdem in der Krise 2020 für die meisten Unternehmen der Branche vor allem die fehlende Nachfrage zu teils massiven Einbußen geführt habe, machen sich in der aktuellen Lage eher Rohstoff- bzw. Lieferkettenprobleme bemerkbar. So seien nach wie vor einige Rohstoffe schwer zu beschaffen, Logistikkapazitäten seien knapp und es fehle an Verpackungsmaterial. Diese Engpässe lassen die Kosten steigen und bremsen die Produktion.
Trotz der teils noch schwierigen Situation sieht die Branche die Zeichen „klar auf Erholung“ und sich „positiv in das Jahr 2021 gestartet – insbesondere die Pharmaproduktion“. Bei gleichzeitiger Erholung der Gesamtwirtschaft und damit der Nachfrage nach Industriewaren dürfte sich die wirtschaftliche Belebung der industriellen Kunden der Chemie fortsetzen, so die aktuelle Einschätzung. Die Dynamik werde aber verhalten sein. Dementsprechend dürfte sich auch im Chemiegeschäft die Dynamik abschwächen. Nach dem kräftigen ersten Quartal rechnet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Deutschland nun für das Gesamtjahr 2021 mit einem Plus der Produktion von 4,5 Prozent. Bei anziehenden Preisen (+3,5 Prozent) steigt der Branchenumsatz so um 8 Prozent auf rund 206 Milliarden Euro in Deutschland.
Vor diesem Hintergrund gewinnen aber die Diskussion um den Klimawandel und mögliche und vor allem politisch formulierte Strategien in der Klimapolitik neues Gewicht: „Hier stehen wir vor einer fundamentalen Frage, einer Grundsatzentscheidung in Deutschland“, betont Dr. Christian Hartel: „Machen wir weiter mit immer neuen Zielvorgaben oder kümmern wir uns endlich um die notwendigen Bedingungen für die Umsetzung?“
Längst sieht er einen „Wettstreit um die schärfsten Klimaziele entbrannt: zuerst die Verschärfung auf EU-Ebene für 2030. Dann Deutschland mit dem Beschluss, schon 2045 klimaneutral sein zu wollen. Und schließlich noch die Ankündigung, dass Bayern dieses Ziel vielleicht schon 2040 erreichen will. Gerade so, als ob man mit immer noch ambitionierteren Zielen die Herausforderungen in der Umsetzung leichter bewältigen könnte.“
„Die Wahrheit ist“, stellt Dr. Hartel heraus: „Nicht mangelnde Motivation ist die große Hürde bei der Umsetzung der Maßnahmen für den Klimaschutz – es ist der politische und infrastrukturelle Rahmen. Wie denn soll ein energieintensives Unternehmen agieren, wenn die Energie – wegen der steigenden CO2- Preise – einfach nur immer teurer wird, es aber keine klimafreundlichen, bezahlbaren Alternativen gibt?“ Die Voraussetzungen, dass die Unternehmen klimaneutral werden können, seien schlicht noch nicht gegeben. CO2-Emissionen zu verbieten oder zu unterbinden, sei einfach – politisch, regulatorisch und auch technisch. „Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, den Wirtschaftsstandort Deutschland dabei zu erhalten und womöglich sogar zu stärken. Für diesen, den schwierigen Teil der Aufgabe gibt es leider viel zu wenige Konzepte“, betont Dr. Hartel.
Gerade die Chemie, als„ Industrie der Industrie“, als „Wurzel und Gefäßsystem des Industriebaums“, sei der „Möglichmacher schlechthin“: „Die Chemie ist die Lösungsindustrie – bei fast allen Herausforderungen.“
Um im Klimaschutz und bei der Nachhaltigkeit erfolgreich zu sein, sei es eine unumgängliche Aufgabe, die Wettbewerbsfähigkeit der Chemie zu erhalten.
In die gleiche Richtung argumentiert auch Walter Vogg, Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Chemieverbände: „Unsere Branche ist die Lösungsindustrie. Aber man muss sie auch machen lassen.“ Und das bedeute, dass diejenigen, die täglich von der Industrie Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit einfordern, nicht nur immer sagen, was sie „wollen“ und sich im Wesentlichen darin erschöpfen, immer ambitioniertere Ziele und Zeitpläne aufzustellen, denn wollen ist wie machen – nur viel einfacher.
„Auch in der Tarifpolitik“, so warnt der Hauptgeschäftsführer, „sehen wir uns – über alle Branchen hinweg – vor der Frage, ob die Richtung, die wir in den letzten Jahren genommen haben, tatsächlich zur Stärkung der Sozialpartnerschaft, zu mehr Tarifbindung und zum Erhalt des Flächentarifvertrages führt – allesamt hohe Güter, die es zu bewahren und zu entwickeln gilt.“
Tarifpolitik sei kein Selbstzweck. Innovative Tarifpolitik müsse bedarfsorientierter Lösungsanbieter sein, „wo tarifliche Regelungen sinnvoll sind und einen Mehrwert für beide Seiten liefern.“ Statt immer mehr Komplexität brauchen die Unternehmen hier möglichst einfache, klare und bedarfsgerechte Lösungen, die schnell und unbürokratisch umgesetzt werden können.
Details: www.bayerische-chemieverbaende.de
Autor: Ernst Deubelli
Quelle: Alt-Neuöttinger/Burghauser Anzeiger/Passauer Neue Presse
Titelbild – Bildquelle: iStock-1134333256